Der Sonnengruß im Kundalini Yoga – Das Tor zum Leben
Der Sonnengruß ist eine Erweckung und Verehrung des Lebens auf allen Ebenen des Menschseins. Es gibt im Yoga kaum eine Übung, die so gut in allen Lebenslagen, egal ob jung oder alt, gesund oder krank, anwendbar ist und die damit sicher über alle Lebensjahre hinweg geübt werden kann.
Im Kundalini Yoga wird der Sonnengruß als reinigende und vorbereitende Übung angesehen, die auf eine tiefere Praxis vorbereitet. Wenn jedoch Mula Bandha zwischen den Haltungen gesetzt wird oder der Sonnengruß zusammen mit Kapalabhati ausgeführt wird, verwandelt er sich in ein mächtiges Werkzeug, um Energie zu erwecken und ins Zentrum zu ziehen.
Generell gilt, dass der Sonnengruß erhellend und stärkend auf allen Ebenen des Menschseins wirkt – Körper, Geist und Seele. Bevor wir uns den Formen des Sonnengrußes im Kundalini Yoga zuwenden, betrachten wir, wie er auf die verschiedenen Ebenen des Menschseins wirkt:

Annamaya Kosha
Gesundheit ist ein Zustand, der sich natürlicherweise einstellt, wenn sich der Körper frei durch das Leben bewegen kann.
Die Freiheit, sich zu bewegen und zu atmen, ist nicht nur für die Bewegungsfähigkeit selbst gut – sie ist ein Tor zur Teilhabe am Leben und damit zur Fähigkeit, die Geschenke des Lebens anzunehmen.
Der Sonnengruß ist daher vor allem auf körperlicher Ebene ein Tor zum Leben selbst. Wenn dieses Tor geöffnet wird, kann alles Gute eintreten – die fruchtbare Herausforderung und das Geschenk des Lebens können sich entfalten.
Der Sonnengruß macht flexibel, regt den Kreislauf an und öffnet den Menschen für den Tag. Es ist kaum vorstellbar, müde oder niedergeschlagen zu bleiben, wenn man am Morgen 12–24 Sonnengrüße praktiziert.
Er schafft eine fruchtbare Spannung im Körper – und diese Spannung ist das Fundament, auf dem das Leben getragen werden kann. Müdigkeit und Verwirrung finden darin keinen Platz.
Prāṇamaya Kosha
Auf der Ebene des Prāṇa schafft der Sonnengruß Raum, um mit Emotionen umzugehen – er schenkt Gelassenheit.
Doch diese Gelassenheit ruht auf innerer Kraft und bewusst gesetzter Spannung.
Dort, wo Kraft bewusst eingesetzt wird, ist Entspannung möglich.
Auch emotional wirkt der Sonnengruß öffnend – er ermöglicht konstruktive Aggression, die einem hilft, im Leben voranzuschreiten, loszulassen und mit Freude an den Herausforderungen teilzunehmen. Yoga ist die Einheit der Gegensätze.
Er befreit von Depression und verwandelt sie in Aktivität. Er befreit von Angst und verwandelt sie in Kraft.
Manomaya Kosha
Auf der Ebene des Geistes befreit der Sonnengruß von unnötigen Gedanken – sie werden im Feuer der Bewegung verbrannt.
Gedanken sind wie Wolken – dahinter ist immer der Himmel, und hinter ihm sind immer die Sterne, und dort ist die Unendlichkeit.
Wer den Sonnengruß täglich übt, entwickelt einen klaren Geist, der das Unnötige vom Wesentlichen unterscheiden kann, das Ziel erkennt und selbstsicher darauf zugeht.
Vijñānamaya Kosha
Wer den Sonnengruß aus dem Herzen übt, überwindet sich selbst. Irgendwann lässt du das hinter dir, was du glaubst, sein zu müssen.
Wenn du vergisst, was du bist, gehst du vom Wollen ins Sein.
Dann bist du bereits – dieses Sein ist dein Ruhen in der Welt, dein stilles Wissen über den Weg, über die Seele.
Von dort fließt das nicht artikulierte Wissen in das artikulierte hinein – dort ist die Quelle deiner Glaubenssätze, und dort ist die Quelle deines echten Wissens.
Kläre dein Gewissen, übe in Hingabe und finde Frieden mit dir selbst.
Vijñānamaya Kosha
Wer den Sonnengruß aus dem Herzen übt, überwindet sich selbst. Irgendwann lässt du das hinter dir, was du glaubst, sein zu müssen.
Wenn du vergisst, was du bist, gehst du vom Wollen ins Sein.
Dann bist du bereits – dieses Sein ist dein Ruhen in der Welt, dein stilles Wissen über den Weg, über die Seele.
Von dort fließt das nicht artikulierte Wissen in das artikulierte hinein – dort ist die Quelle deiner Glaubenssätze, und dort ist die Quelle deines echten Wissens.
Kläre dein Gewissen, übe in Hingabe und finde Frieden mit dir selbst.

Die 12 Positionen des klassischen Sonnengrußes
Der traditionelle Sonnengruß – wie er auch an der Bihar School of Yoga gelehrt wird – besteht aus 12 Positionen. Jede dieser Haltungen ist einem der 12 Namen der Sonne zugeordnet und reflektiert einen ihrer Aspekte.
Die Positionen sind:
- Pranāmāsana – Gebetshaltung
- Hastottānāsana – Haltung der erhobenen Arme
- Pādahastāsana – Hände-zu-Füßen-Haltung
- Aśva Sañcalanāsana – Reiterposition
- Parvatāsana – Bergposition
- Aṣṭāṅga Namaskāra – Acht-Punkte-Gruß
- Bhujaṅgāsana – Kobra
- Parvatāsana – Bergposition
- Aśva Sañcalanāsana – Reiterposition
- Pādahastāsana – Hände-zu-Füßen-Haltung
- Hastottānāsana – Haltung der erhobenen Arme
- Pranāmāsana – Gebetshaltung

Formen der Praxis im Kundalini Yoga
Ein Atemzug pro Haltung – Fließende Atmung
Die einfachste und zugleich schönste Form des Sonnengrußes ist jene, bei der der Atem die Bewegung trägt. Nicht jede Haltung bekommt starr einen Atemzug zugeordnet – vielmehr führt der Atem, und die Bewegung folgt.
„Erst kommt Prāṇa, dann folgt der Körper. Der Atem ist die Seele des Körpers.“
Diese Form kann schnell oder langsam geübt werden – so wie der Fluss deines Atems es vorgibt. In der letzten Position kannst du deine Hände vom Kosmos zurück zum Herzen führen – begleitet von einem lauten oder stillen OM.
Atemfolge (orientierend):
- Pranāmāsana – Ausatmen
- Hastottānāsana – Einatmen
- Pādahastāsana – Ausatmen
- Aśva Sañcalanāsana – Einatmen
- Parvatāsana – Ausatmen
- Aṣṭāṅga Namaskāra – Atem halten – Halte die Leere
- Bhujaṅgāsana – Einatmen
- Parvatāsana – Ausatmen
- Aśva Sañcalanāsana – Einatmen
- Pādahastāsana – Ausatmen
- Hastottānāsana – Einatmen
- Pranāmāsana – Ausatmen – OM
Zwei Atemzüge pro Haltung – Mula Bandha
In dieser Form nimmst du dir Zeit, in jede Haltung einzutauchen. Der Blick ist nach innen gerichtet, der Atem wird still und kontrolliert.
Mula Bandha wird den meditativen Effekt der Übung in einen kräftigenden verwandeln. Sobald Mula Bandha am Ende jeder Ausatmung und jeder Einatmung gezogen wird, dehnt sich das Prana aus. Bereits nach drei Runden stellt sich ein Gefühl der magnetischen Kraft ein.
Wo ist Mula Bandha?
Wo sich Mula Bandha genau befindet, ist weniger wichtig als die Empfindung des Wurzelverschlusses selbst. Die Muskulatur des Anus, der Genitalien, des Perineums und der Zervix sind alle gleichermaßen an dem beteiligt, was den unteren Verschluss der Kraft ausmacht.
Stell dir vor, dass du in der Mitte zwischen den Atemzügen die Kraft ins Zentrum ziehst. Wenn du spürst, wie die Kraft aufsteigt, hast du das Bandha gefunden. Dies ist das Tor zum Kundalini Yoga.
- Einatmung – Du gehst in die Haltung.
- Ende der Einatmung – Ziehe Mula Bandha in Fülle.
- Ausatmung – Du dehnst die Kraft der Haltung aus und entspannst dich.
- Ende der Ausatmung – Ziehe Mula Bandha in Leere.
Jede Haltung wird so präsenter. Das Eintauchen in Dehnung und Stille wird möglich. Die Praxis mit zwei Atemzügen pro Position ist ruhig, meditativ und regenerierend.
Sie wirkt auf der Ebene des Manomaya Kosha. Mula Bandha dehnt das Prana aus; wenn der Geist still bleibt, ohne Agitation, öffnet sich das Tor zur großen Kraft.
Kapalabhātī – Die feurige Reinigung
Diese kraftvolle Praxis wurde mir von meinem Kundalini Yoga Lehrer vermittelt. Sie Reinigt, und schafft die Basis und Kraft für tiefere Übungen. In jeder Haltung wird ein kurzer Impuls Kapalabhātī aus dem Nabel gesetzt.
Kraft
Diese Form ist energetisierend, reinigend (körperlich & geistig) und befreiend von unnötigen Gedanken und Emotionen. Der Fokus liegt auf dem Uḍāna Prāṇa, der aufsteigenden Lebenskraft, die nach Ausdehnung strebt. Im Tantra wird Uḍāna Prāṇa auch als Manifestation der Kundalini verstanden.
Die Bewegungen sind sanft und schnell – wie ein Tanz um die Mitte, nicht jedoch wie bewusst gesetzte Dehnung. Jede Haltung wird nur flüchtig berührt.
Geschwindigkeit
Beginne langsam und vorsichtig, setze jeden Kapalabhati-Impuls achtsam. Wenn du dich sicher in der Bewegungsfolge fühlst, kannst du die Geschwindigkeit allmählich erhöhen, sodass die Bewegung zu einem feurigen Tanz um die Mitte wird.
Die Leute haben oft zwei Formen von Blockaden:
- Entweder hat der Geist Angst, in die Tiefe einzusinken und kann eine Bewegung nicht langsam und bewusst ausführen.
- Oder der Geist versteift sich und schafft es nicht, in im Fluss der Geschwindigkeit loszulassen.
Diese Übung fordert dich auf, dich dem Fluss der Kraft hinzugeben.
Abschluss
Am Ende jeder Runde, wenn du in Pranāmāsana zurückkehrst, singst du ein Mantra – das Mantra bringt dich zurück in dein Zentrum:
Om śrīma sūryāya nārāyaṇāya namaḥ
Diese Praxis ist wie eine Dusche aus Licht, eine Feuerzeremonie des Atems.
Mantra im Sonnengruß
Die Sonne ist der Ursprung des Lebens: Alle Dinge bewegen sich um sie, alles wird in ihr wieder vergehen. Jeder Windhauch, die Wellen des Wassers, das Wachsen der Pflanzen – alles geht auf ihre lebensspendenden Strahlen zurück.
Diese Form wird nicht exklusiv im Kundalini Yoga angewandt, jedoch ist Kundalini Mantra-śakti. Sie ist die Gott in Form von Klang (Śabda Brahman). Daher ist sie zugleich die Vitalität aller Mantras.
Wenn Bewegung und Mantra vereint werden, ist das ein kraftvolles Werkzeug, die Göttin zu ehren. In der Hingabe im Mantra schwingt sie als die elektrische Kraft die dem Mantra das Leben verleiht.
Die 12 Namen der Sonne:
Du kannst in jeder der 12 Haltungen einen der 12 Namen rezitieren, oder in Pranāmāsana vor jeder neuen Runde ein Mantra singen, um dich zu zentrieren.
Am Ende jeder Runde (von Hastottānāsana zu Pranāmāsana) kannst du bei der Ausatmung das entsprechende Bīja-Mantra (Hrāṁ, Hrīṁ …) singen.
Hrāṁ Oṁ Hrāṁ Mitrāya Namaḥ – Ich grüße dich, großer Freund!
Hrīṁ Oṁ Hrīṁ Ravaye Namaḥ – Ich grüße dich, Beschützer aller!
Hrūṁ Oṁ Hrūṁ Sūryāya Namaḥ – Ich grüße dich, Quelle allen Guten!
Hraiṁ Oṁ Hraiṁ Bhānave Namaḥ – Ich grüße dich, Strahlende Sonne!
Hrauṁ Oṁ Hrauṁ Khagāya Namaḥ – Ich grüße dich, Himmelswanderer!
Hraḥ Oṁ Hraḥ Pūṣṇe Namaḥ – Ich grüße dich, die Nährende!
Hrāṁ Oṁ Hrāṁ Hiraṇyagarbhāya Namaḥ – Ich grüße dich, goldener Lebensschoß!
Hrīṁ Oṁ Hrīṁ Marīcaye Namaḥ – Ich grüße dich, glänzender Strahl!
Hrūṁ Oṁ Hrūṁ Ādityāya Namaḥ – Ich grüße dich, Anfang allen Seins!
Hraiṁ Oṁ Hraiṁ Savitre Namaḥ – Ich grüße dich, schöpferische Kraft!
Hrauṁ Oṁ Hrauṁ Ārkāya Namaḥ – Ich grüße dich, feuriger Lichtstrahl!
Hraḥ Oṁ Hraḥ Bhāskarāya Namaḥ – Ich grüße dich, strahlende Quelle des Lichts!

Sūrya Namaskāra im Kundalini und Hatha Yoga
Lass uns nun gemeinsam durch die einzelnen Positionen des Sūrya Namaskāra gehen – das Tor zum Leben.
Die Positionen sind in jeder Form der Atmung oder auch mit Mantra, ob die Form nun die Entfaltung der Kundalini unterstützt oder nicht ident, daher werfen wir nun einen genauen Blick auf alle Haltungen.
Hinweis: In jeder Runde ist jeweils ein Bein führend beim Zurück- und Vorsteigen. In der ersten Runde beginnt das rechte Bein, in der zweiten Runde ist es das linke.
Pranāmāsana – Gebetshaltung
Stehe aufrecht mit geschlossenen Füßen. Die Hände sind leicht gegeneinander gedrückt vor dem Herzen. Spüre die Kraft deiner Mitte.
Om śrīmaḥ sūryāya nārāyaṇāya namaḥ
Drishti (Blickfokus): Zum Horizont, mit dem inneren Fokus im Herzen.
Hastottānāsana – Haltung der erhobenen Arme
Mit der Einatmung hebe die Arme über den Kopf und öffne deine Handflächen dem Kosmos. Die Beine bleiben aktiv, die Brust ist weit geöffnet, die Arme leicht gespreizt.
Drishti: In den Kosmos
Pādahastāsana – Hände-zu-Füßen-Haltung
Beuge dich aus der Hüfte nach vorne. Die Hände kommen neben die Füße, Finger neben die Zehen. Die Knie dürfen zunächst gebeugt sein, um den Bauch an die Oberschenkel zu bringen. Dann strecke langsam die Beine, sodass die Stirn auf den Knien ruht.
Drishti: Zum Nabel

4. Aśva Sañcalanāsana – Reiterposition
Steige mit dem rechten Bein zurück. Die Fingerspitzen bleiben neben den Zehen am Boden, die Handflächen heben sich leicht. Das Becken sinkt, das rechte Knie bleibt über dem rechten Fuß. Die Brust wölbt sich nach vorne, der Kopf ist leicht im Nacken.
Drishti: Ajñā Chakra (zwischen den Augenbrauen)

5. Parvatāsana – Bergstellung
Steige mit dem linken Bein zurück in den Berg. Füße geschlossen. Die Hände, Schultern und Hüften bilden eine Linie – kein Hohlkreuz, kein Buckel. Die Knie dürfen leicht gebeugt bleiben, damit das Becken Freiheit hat.
Drishti: Zum Nabel – genieße die Weite und Kraft
6. Aṣṭāṅga Namaskāra – Acht-Punkte-Gruß
Senke zuerst die Knie zum Boden, dann das Kinn zwischen die Fingerspitzen. Rutsche mit dem Becken leicht nach vorne, bis das Brustbein den Boden berührt. Acht Punkte berühren nun die Erde: Füße, Knie, Brustbein, Kinn und Hände.
Drishti: Zum Horizont – nach vorne, nicht zum Boden

9. Aśva Sañcalanāsana – Reiterposition
Steige mit dem rechten Bein nach vorne. In der nächsten Runde wirst du das Bein wechseln. Fingerspitzen berühren den Boden, Handflächen heben sich. Die Hüfte sinkt, die Brust öffnet sich, der Blick geht nach oben.
Drishti: Ajñā Chakra

10. Pādahastāsana – Hände-zu-Füßen-Haltung
Steige mit dem linken Bein nach vorne. Lass die Knie gebeugt, wenn das hilft, den Bauch an die Oberschenkel zu bringen.
Drishti: Nach innen – in die Stille
11. Hastottānāsana – Haltung der erhobenen Arme
Mit gebeugten Knien und geradem Rücken richte dich nach oben auf. Öffne die Brust, lasse die Arme sich leicht ausbreiten und zeige deine Handflächen dem Kosmos.
Drishti: In den Kosmos – er ist dein Zuhause
12. Pranāmāsana – Gebetshaltung
Führe die Hände über dem Kopf zusammen und senke sie langsam vor das Herz. Beim Senken der Arme kannst du das Bīja-Mantra des Sonnenaspekts oder einfach OM singen, um die Verbindung zwischen Kosmos und Herz zu feiern.
Drishti: Nach innen – zum Herzen
Das ist eine Runde.

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